Kremlchef Wladimir Putin hatte für Olympia 2014 in Sotschi Eishockey-Gold als höchstes Ziel ausgegeben. Und so versetzte der Absturz der Eishockey-„Sbornaja“ Olympia-Gastgeber Russland in eine Schockstarre. Unter Pfiffen der Fans flüchteten die Kufen-Superstars nach dem Viertelfinaldebakel aus dem „Bolschoi“-Dom. „Wir hatten die besten russischen Spieler“, sagte Trainer Biljaletdinow und benannte damit das Hauptproblem: Priorität hatte nicht die Zusammenstellung eines homogenen Teams, sondern die Rekrutierung zahlreicher individueller Stars. Nach dem Aus traten interne Querelen zu Tage. „Die Trainer haben uns ein System vorgegeben, aber jeder hat etwas anderes versucht„, monierte Verteidiger Anton Below.

Gold holte Team Canada. Und dies war nicht der Erfolg einzelner Superstars. „Der Erfolg ist ein Erfolg des Systems. Jeder hat sich daran gehalten.“, so Außenstürmer Tyler Ennis. „Es ist nicht leicht, lauter Spieler zu haben, die es gewohnt sind, in ihren Clubs im Mittelpunkt zu stehen.“

Wird damit das Motto von Bundestrainer Berti Vogts „Die Mannschaft ist der Star!“ bei der EM 1996 wieder einmal bestätigt? Immerhin feierte das DFB-Team damals den Titelgewinn. Aber auch diese Mannschaft hatte ihre Stars – z.B. Matthias Sammer, der als eine Art „Spielertrainer“ die Regie führte. Abseits des Platzes gab Kapitän Jürgen Klinsmann den Ton an. Und auch Team Canada hatte 2014 mit Superstar Sidney Crosby sowie 11 weiteren Olympiasiegern von 2010 alles andere als eine No-Star Truppe am Start.

Ist es also wirklich der Team-Gedanke allein, der zum Erfolg führt? Ketzerisch fragte der Bestseller-Autor Reinhard Sprenger einmal „Haben Sie schon mal versucht im Team Auto zu fahren?“. Eine Gefahr liegt heute in der geradezu allgegenwärtigen Überbetonung des Team-Gedankens. Individuelle Leistung scheint verpönt zu sein. Aber zur gleichen Zeit sprach im September 2015 keiner von der tollen Mannschaftsleistung des FC Bayern, sondern nur von Müllers tollem Tor-Riecher.

Wir scheinen aktuell im Jahrzehnt des Teams zu leben: Mitarbeiter werden zu Team-Mitgliedern, Sekretärinnen zu Team-Assistentinnen, Abteilungsbesprechungen zu Team-Meetings, Gruppenleiter zu Team-Leitern, der Sozialraum zum Team-Raum und die individuelle Arbeitsleistung zur Team-Performance. Alles wird kollektiviert. Die Arbeitszeit wird in Team-Meetings verbracht, in denen der Entscheidungsfindungsprozess stattfindet, um Betroffene zu Beteiligten zu machen und Verantwortung so lange auf alle Schultern zu verteilen, bis am Ende niemand mehr schuld zu sein braucht. Die Verantwortung zu handeln löst sich in Luft auf.

Dass Teams lange nicht der Garant für Erfolg sind, zeigt das psychologische Phänomen des „Sozialen Faulenzens“, wonach Menschen im Team eine geringere Einzelleistung erbringen, als wenn sie allein agieren. Misst man beispielsweise die Zugkraft an einem Seil von vier Personen einzeln, dann müsste sich diese, wenn sie im Team ziehen, addieren. Tut sie aber nicht! Der Einzelne strengt sich weniger an! Deutlich wird dies, wenn man drei der vier Personen einweiht und diese nur das Seil halten, statt zu ziehen. Die vierte Person zieht also nur vermeintlich im Team – in Wahrheit aber alleine. Und diese Person erreicht in der vermeintlichen Teamkonstellation ihre Einzelleistung eben nicht. Dies geschieht natürlich auf unbewusster Ebene. Abhilfe schafft hier, das Phänomen einerseits bewusst zu machen, andererseits klare, messbare Einzelziele vorzugeben, diese zu überprüfen und Feedback zu geben. So erreichten die Viererteams dann annähernd die Summe ihrer Einzelleistungen.

Der reine Team-Gedanke bringt noch einen weiteren Nachteil mit sich. So erklärt der Sportwissenschaftler Prof. Stefan Voll von der Universität Bamberg: „Früher galt im Spitzensport das Dogma „Die Mannschaft ist der Star!“ Dies hat sich jedoch überlebt und wurde schon vielfach als zu starke Festlegung der persönlichen Handlungsweisen widerlegt, die Potenziale des Einzelspielers nicht zur Entfaltung kommen lässt. Ein zu starres Korsett gibt dem starken Individualisten nicht die Möglichkeit, seine kreativen Potenziale, die oft beim Aufeinandertreffen gleich starker Mannschaften den spielbestimmenden Faktor darstellen, auszuschöpfen.

Was also tun? Team-Geist oder Einzelleistung? Es geht wie so oft um den Weg in der Mitte. Es geht darum, dass sich der einzelne Leistungsträger sowohl auslebt, als auch in den Dienst der Gemeinschaft stellt. Trainer-Ikone Jürgen Klopp formulierte es 2014 so: „Die Spieler müssen sich ausleben können, aber nicht übertreiben. Sie müssen sich einbringen, aber auch tun, was gefordert wird. Sie müssen egoistisch sein, aber nicht zu sehr. Am Ende ist es ganz einfach: alles für den Erfolg!“ Dieser entsteht dann aus den herausragenden Individualleistungen und dem übergeordneten Zusammenspiel aller Beteiligten.

Dabei ist ein Aspekt wesentlich: „Die Spieler müssen erkennen können, dass für sie persönlich etwas drin ist, wenn sie sich auf „WIR” anstelle von „ICH“ einlassen. Wenn sie also den Schritt “from EGO to WE GO“ machen!“, formuliert Kevin Hamli, ein anerkannter Trainer im US-Eishockey.

„Dies bedeutet, dass auf persönlicher Ebene ein herausfordernder Beitrag zu einem gemeinsamen Ziel geleistet wird und dies insbesondere zur persönlich Entwicklung beiträgt. Als Antwort auf die Frage what is in it for me?“. Sportpsychologische Studien zeigen, dass gerade in einer wachsenden persönlichen Entwicklung das Leistungsmotiv am stärksten befriedigt wird. [Schüler, Wegner, 2015]

Bei aller Teamorientierung sollte man nicht vergessen, dass es neben Zielklarheit, Unterordnung und gegenseitiger Unterstützung zu einem Top-Performance-Team gehört, dass:

  • insbesondere Einzelleistungen zum Teamerfolg beitragen,
  • es Situationen gibt, in denen einer aus dem Team die Verantwortung übernehmen muss und
  • es auch im Team Dinge gibt, die man im Hinblick auf den gemeinsamen Erfolg am besten alleine tut.